Früherkennung sexuellen Kindesmissbrauchs
Woran lässt sich sexueller Kindesmissbrauch von Anfang an erkennen, und warum geschieht es nicht? Nur weil in der Kinderbetreuung bei Anzeichen für sexuellen Kindesmissbrauch konsequent weggesehen wird, kommt es überhaupt zum langjährigen sexuellen Missbrauch in Kindheit und Jugend. Würden Erziehungs- und Freizeiteinrichtungen, erst recht das soziale Umfeld nicht wegsehen, würde es gar nicht so weit kommen.
Tatort für sexuellen Kindesmissbrauch ist v.a. das engste Familienumfeld, dann die Nachbarschaft oder das weitere Familienumfeld, dann Erziehungs- und Sozialeinrichtungen. Die Täter sind so gut wie nie Fremde, sondern so gut wie immer enge Vertrauenspersonen des Kindes – oft genug die eigenen Eltern. Die Übergriffe beginnen mit 6 oder früher und dauern in mehreren Wellen bis zur selbstständigen Haushaltsgründung (oder sogar ein Leben lang) – in allen Gesellschaftsschichten und Gegenden.
Es geschieht keineswegs im Geheimen – wenn man denn hinsieht. Zwar wird den Opfern eingebläut, das Geheimnis zu hüten, und sie werden zur Unauffälligkeit abgerichtet, doch gibt es stets Mittäterinnen und ein Mitwissenfeld. Erst in diesem feindlichen Lebensumfeld, wo alle ‹dicht halten›, entwickelt sich die Kontinuität eines langanhaltenden sexuellen Missbrauchs in Kindheit und Jugend nicht zuletzt aufgrund einer eigenen Opferausstrahlung (‹Aura›), einer genauen Opferausbildung.
Kinderprostitution und ritueller Missbrauch
In diesem verschwiegenen Gewaltumfeld sind auch die Eskalationsstufen Kinderprostitution und ritueller Missbrauch / Satanismus nie weit entfernt, sprießen heute vermutlich sogar rasant. Wer regelmäßig die eigenen Kinder sexuell missbraucht, hatte noch nie eine große Hemmschwelle, ihre Dienste auch Freunden und Bekannten zur Verfügung zu stellen. Die heutige organisierte Kriminalität hat den Anreiz noch erhöht.
Und doch gehen auch solche Kinder in den Kindergarten oder in die Schule oder landen über kurz oder lang beim Jugendamt. Natürlich erzählen sie ihr Schicksal nicht. Aber es sind immer verhaltensauffällige Kinder. Gerade die Anzeichen für rituellen Missbrauch sind jedoch leicht zu erkennen – wenn man denn will. Doch kann sich das biedere Betreuungspersonal solche Grausamkeiten einfach nicht vorstellen, wird nicht geschult und interessiert sich im Grunde genommen auch nicht dafür.
Beim rituellem Kindesmissbrauch oder in der sadistischen Kinderprostitution wird das Kind nicht nur als Sexualobjekt missbraucht, sondern bewusst gequält; Körper und Seele des Kindes werden bewusst zerbrochen, eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft ist danach nicht mehr möglich. Daher ist die wichtigste Frage eben nicht, wer solche monströse Untaten begeht, sondern wer sie nicht unterbindet, obwohl die Anzeichen für rituellen Kindesmissbrauch erkennbar sind.
Und es wird immer mehr. Der Übergang vom sexuellen Kindesmissbrauch in der Familie zur organisierten Kriminalität ist fließend. Im Laufe von langanhaltendem sexuellen Missbrauch in Kindheit und Jugend verliert der Täter nach und nach jede Skrupel, will immer wieder einen stärkeren Kick, entdeckt über kurz oder lang auch eine Möglichkeit, Geld mit seinen Machenschaften zu verdienen. Im Internet-Zeitalter mehren sich die kriminellen Gelegenheiten.
Es werden also auch rasant mehr Betroffene. Bereits heute bilden die besonders stark traumatisierten Opfer organisierter sexueller Gewalt oder sexueller Ausbeutung einen dicken Kern der am meisten Traumatisierten und sind nicht etwa nur wenige Außenseiter; nur redet niemand darüber, die Betroffenen am allerwenigsten.
Schuldgefühle wegen sexuellem Missbrauch
Die Opfer schämen sich für ihr Schicksal, geben sich selbst auch als Kind eine Mitschuld an den Übergriffen (haben den Täter verführt oder zur Weißglut getrieben). Die Gesellschaft bestärkt sie noch in dieser Auffassung, denn sie verachtet sie für das ihnen Widerfahrene, sie und ihre ekligen Lebensverhältnisse, und so verstecken sich die Überlebenden sexuellen Kindesmissbrauchs lieber vor der Öffentlichkeit, als wären sie selbst nur eine peinliche Entgleisung.
Warum auch nicht? Wer würde so eine schmerzliche Lebenserfahrung aufdecken? Nur werden eben durch das immer weitere Schweigen die eigenen Schuldgefühle und damit das Trauma nur immer weiter vertieft. Es ist nicht irgendwann ausgestanden; unbehandelt vergiftet die seelische Verletzung das ganze Leben. Die Opfer fühlen sich immer noch minderwertig, wie es ihnen bereits als Kind beigebracht worden ist.
Doch die Opfer sind nicht schwach, krank oder gar sündig, sondern seelisch schwer verwundet, vor allem aber anders. Ihre Unfähigkeit zu einem normalen Leben ist teils als Persönlichkeitsstörung heilbar, teils als Überlebensstrategie unantastbar, gerade bei einer dissoziativen Identitätsstörung oder Borderline-Syndrom.
Doch wird heute nicht zwischen ‹Heilung› (gut) und ‹Abrichtung› (böse) unterschieden; die Eigenart der Überlebenden sexuellen Kindesmissbrauchs wird unterdrückt – und das ist eine Retraumatisierung, die sie ihrer Lebensmöglichkeiten noch weiter beraubt. Auch deshalb verbergen sich die Opfer wohlweislich, denn im gesellschaftlichen Zeichensystem sind sie entweder Aussätze oder bereuen, was sie geworden sind – müssen sich also in beiden Fällen ihrer selbst schämen.
Sexueller Kindesmissbrauch ist kein Trauma unter vielen. Es war kein Unfall und keine Krieg, sondern die Opfer wurden bewusst zerstört – seelisch, aber auch körperlich, und zwar meist von ihren engsten Vertrauten oder Verwandten – zu deren Vergnügen. Resilienz oder Heilung taugen daher nicht als leitende Gesichtspunkte. Die engsten Bezugspersonen haben das Opfer als minderwertigen Abtritt definiert; dagegen hilft keine Widerstandskraft und keine Verhaltenstherapie, nur Früherkennung und Unterbindung.
Sexueller Kindesmissbrauch – sichere und starke Anzeichen
Welche Anzeichen lassen mit Sicherheit oder mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Kindesmisshandlung oder sexuellen Kindesmissbrauch schließen? (Die Ursache ist ja für die Beobachtung nicht klar ersichtlich, nur die Symptome machen sich bemerkbar.) Heute wird sexueller Kindesmissbrauch als häufige Ursache aller, vor allem einiger besonderer traumatischer Symptome oder Persönlichkeitsstörungen unter dem Deckmantel der Vermeidung von Falschbezichtigungen meist schamhaft verschwiegen. Dabei muss es immer die erste, nicht die letzte Annahme sein, und sie muss für das weitere Vorgehen handlungsleitend sein.
Spiel- oder unfalluntypische körperliche Wunden oder Hämatome, Blutungen von Scheide und After, Knochenbrüche (bei denen ein unbeabsichtigter Sturz ausgeschlossen werden kann) resultieren stets und immer aus Kindesmissbrauch, auch wenn die Kinder – und natürlich die Eltern – es anders darstellen. Kinder fallen nicht plötzlich die Treppe hinunter, ziehen sich dabei keine Knochenbrüche, Brandwunden oder Analblutungen zu. Angenommen, ein Kind zieht sich im Sportunterricht nicht um oder duscht nicht, entblößt dann aber auf Befehl der Betreuungsperson seine Verletzungen, hat die Betreuungsperson sofort vom Offensichtlichen auszugehen, statt verschämt den Kopf in den Sand zu stecken. Kinder neigen auch nicht aus Trauer oder Hypersensiblität zum Selbstmord, und sie verstümmeln sich nicht selbst (Autoaggression, Selbstverletzung).
Nicht nur körperliche Verletzungen, auch alle starken Persönlichkeitsstörungen – Borderline-Syndrom oder dissoziativer Identitätsstörung, unkontrollierbare Gewaltausbrüche, Autoaggression (Selbstmordgedanken, Selbstverletzung, Essstörung) – sind Ergebnis von Kindesmisshandlung oder sexuellem Kindesmissbrauch, aber auch extreme Schüchternheit, Überanpassung oder plötzlicher Rückzug von der Gemeinschaft, und so ist diese Vermutung stets früh zu verfolgen und nicht erst als letzte Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Eine Falschbezichtigung richtet weniger Schaden an als sexueller Kindesmissbrauch.
Selbstmordneigung, Selbstverletzung und schwere Essstörungen sind die häufigsten und deutlichsten Anzeichen, auch die psychische Autoaggressionen (Selbsthass, nicht etwa nur ein geringes Selbstwertgefühl). Erst die Übernahme der Demütigung ‹du kannst nichts, du bist nichts, du wird nichts› als Täterintrojekt – also ‹ich kann nichts, ich bin nichts, ich werde nichts› – markiert die Grenze zwischen einer lieblosen Erziehung und Kindesmisshandlung. Das Trauma langanhaltenden sexuellen Missbrauchs in Kindheit und Jugend ist nicht einfach nur eine Verlängerung einer Bindungsstörung, sondern ein eigenständiger Tatbestand.
Die Anzeichen für sexuellern Kindesmissbrauch bereits anfangs erkennen
Wenn nun erst solche schweren Schädigungen auftreten, ist das Kind in den Brunnen gefallen. Doch Verhaltensauffälligkeiten sind bereits nach dem ersten sexuellen Übergriff erkennbar, werden bald chronisch. Können wir nicht vorher eingreifen? Wie kann ich erkennen, wenn es gerade geschieht – nicht, welche Schäden das Kind beim Neuzugang bereits in die Einrichtung, sondern Verhaltensänderungen mit dem erstmaligen bzw. beginnenden sexuellen Kindesmissbrauch.
Die möglichen Konstellationen sind vielfältig: Ein neuer Stiefvater kommt ins Haus, Cousins vergnügen sich mit dem Mädchen, es kommt zu Übergriffen in der Jugendfreizeit. Nur kann das Betreuungspersonal es natürlich nicht wissen, und nicht jede dysfunktionale Familie ist ein Verdachtsfall. Doch man kann sich eine innere Karte von Verdachtsfällen machen.
Vielleicht erzählen die Kinder ja auch, dass da etwas vorgefallen ist (oder deuten es zumindest an); sie ziehen sich von der Gemeinschaft zurück, wollen sich im Sportunterricht nicht mehr ausziehen, fallen jäh in der Leistung ab oder legen ein völlig altersuntypisches übersexualisiertes Verhalten an den Tag. Dann entscheiden wir, ob wir hinsehen oder wegsehen. Wenn wir keinen Verdacht schöpfen, haben wir uns entschieden, wegzusehen, und stoßen das Kind in den Abgrund.
Sexueller Kindesmissbrauch – mehrdeutige Anzeichen
Essstörungen diesseits von Sterbenwollen oder ein auffällig schwaches Selbstwertgefühl deuten nicht unmissverständlich auf sexuellen Kindesmissbrauch hin, entstehen auch aus einem verächtlichen Umfeld, ohne dass sexuelle Gewalt im Spiel ist, wenn etwa ein Mädchen von der Rabenmutter geringgeschätzt wird oder keine weiblichen Reize entwickeln will, um nicht gehänselt oder angemacht zu werden; nur werden sie dann nicht selbstzerstörerisch. Es gibt kein Kontinuum zwischen Sexismus und Vergewaltigung, kein Hinüberragen einer Entwicklungsstörung in eine komplexe Traumafolgestörung. Es gibt keine ernsthaften Essstörungen (mit dem Ziel des Hungertods) ohne sexuelle Gewalt.
Verhaltensauffälligkeiten lassen sich im Alltag nicht einfach mit Sicherheit auf eine einzige denkbare Ursache zurückführen (zumal sich das Betreuungspersonal nicht damit auskennt), doch manche sind (in bestimmten Kombinationen) mit großer Wahrscheinlichkeit Anzeichen für bzw. Folgen von sexuellem Kindesmissbrauch, kommen nur oder so gut wie nur in diesem Zusammenhang vor (gerade in dieser Kombination).
Dabei weisenOpfer sexuellen Kindesmissbrauchs zwar gewisse Anzeichen aufm, aber nicht unbedingt Verhaltensauffälligkeiten; eher sogar im Gegenteil. Gerade sie verhalten sich oft besonders unauffällig. So wird es ihnen nicht nur von den Tätern beigebracht (die nicht ins Gerde kommen wollen); sie wollen auch von sich aus nicht noch mehr Ärger bekommen, wenn sie auffliegen.
Teils sind die Opfer auffällig fügsam, auffällig unauffällig, beteiligen sich weder am Unterricht noch am Pausenspiel, verteilen ihre Pausenbrote, statt sie selbst zu essen; teils ragen sie intellektuell heraus, erstreben oder vollbringen Höchstleistungen – um in Ruhe gelassen zu werden. Oftmals sind sie aber keineswegs besonders stark, besonders ängstlich oder scheu, wollen einfach nicht auffallen, meiden andere Kinder.
Woran könnte das Betreuungspersonal in solchen empfindlichen Fällen den Unterschied bemerken? Nun, warum werden die Kinder nicht in allen solchen Fällen behutsam über ihre Lebensumstände befragt und genau beobachtet (wobei Protokoll geführt wird)? Vielleicht ist ja nur ein naher Angehöriger gestorben oder das Kind versteht sich mit den Kindern des neuen Lebensgefährten nicht. Aber auch das wird nicht erfragt. Es gibt keine Kontrollgruppe der unauffällig unauffälligen Kindern, bei denen man ‹nie auf den Verdacht gekommen wäre›.
Erst verweigerte Früherkennung schafft Traumafolgestörungen
Das Betreuungspersonal möchte den sexuellen Kindesmissbrauch gerade in der Familie nicht wahrhaben und sieht über alle, auch krasse Anzeichen hinweg – weil es die Taten stillschweigend billigt, Angst um das eigene Weltbild hat oder Angst vor Kündigung, Versetzung, Auslaufen des Vertrags als Nestbeschmutzer und Aufsässige, wenn sie die Schande aufdecken. Langanhaltender sexueller Missbrauch in Kindheit und Jugend ist ohne Mitwissen und Vertuschung im Betreuungssystem nicht denkbar; er findet nicht im Verborgenen statt.
Doch gerade die schwächsten Verbündeten als engste Beobachter wissen ja, wer die angesehenen Bürger unter den Eltern und Behördenleitern sind, kennen die Rechtsprechung, wissen, wie tief das Sozialamt und der Bischof in Pädophilenring und Kinderhandel verstrickt sind, und wollen sich nicht gegen diese Gewalten auflehnen. Nicht nur fehlt ihnen der Mut; sie würden den Kürzeren ziehen und ihre Existenzgrundlage verlieren.
Schutzbeauftragten fehlt heute ein Berufsethos, nicht zu warten, bis betroffene Kinder sich beschweren oder Anzeige erstatten, sondern von sich aus Verantwortung zu übernehmen, solange das Kind noch nicht in den Brunnen gefallen ist (die Symptome also chronisch zu werden beginnen, was bereits nach wenigen Übergriffen der Fall ist). Kindesmissbrauch und häusliche Gewalt gelten als hässliche Privatangelegenheit, nicht als Verbrechen, und man möchte das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Doch ein Kinderschutzkonzept erschöpft sich nicht darin, dem Kind beizubringen: ‹Sag nein!›.
Die Kindeswohlverpflichtung in § 8a SGB VIII bezieht sich nicht nur auf die Einrichtung, auf Verhaltenstraining oder Resilienzübungen, sondern auf das gesamte Lebensumfeld der Schutzbefohlenen. Für das Wohlergehen der Schützlinge einzustehen, statt um die eigene berufliche Existenz zu fürchten, als Stärkerer die Schwächsten zu schützen, gilt jedoch heute sowohl normativ als auch objektiv als Fehlverhalten. Normativ: Bloß nicht aus der Reihe tanzen! Objektiv: Wie kann man so blöb sein, sich selbst zu schaden! Und so wird sexueller Kindesmissbrauch in der allgemeinen Öffentlichkeit hin und wieder angeprangert, weil sich das Thema so schön für eine unbestimmte Empörung eigenet, aber in Wirklichkeit nicht aufgedeckt oder gar verfolgt.
Die Überlebenden sexuellen Kindesmissbrauchs sind unwichtig, die Täter wichtig
Die Täter und ihre Freunde sind oben, die Opfer unten. Die Schwächsten sind ein Fall für die Fürsorge, aber keine wichtigen Glieder der Gesellschaft. Nur ist die Vertuschung oder Geringschätzung des sexuellen Kindesmissbrauchs eben keine Verschwörung und basiert auch nicht allein auf Klassendünkel, sondern wir haben es mit einem fest verwobenen Systemwiderstand zu tun. Sexuelle Gewalt und Kindesmisshandlung sind in unserer Gesellschaftsordnung normal und legitim, werden auch von den Opfern nicht grundsätzlich infrage gestellt.
Noch einmal: Sexueller Kindesmissbrauch ist nicht etwa ‹erwünscht›, wird auch nicht offen gebilligt und auch nicht nur aus Scham nicht aufgedeckt; das sind Verschwörungstheorien. Vielmehr darf der erwachsene weiße Mann in der herrschenden Sinnordnung Frau und Kinder nach Belieben gebrauchen, auch auf schmutzige Art, wenn es ihm angemessen erscheint. Diese Leute erhalten das System aufrecht; es gehört ihnen. Wer wollte gegen sie vorgehen?
Deswegen werden Symptome sexuellen Kindesmissbrauchs bewusst übersehen, Hilfeschreie überhört, bekommen die Opfer zu hören: ‹Wie kannst du so etwas über Papa sagen?›, ‹Du hast den Papa doch verführt, er will das gar nicht›, ‹Du zerstörst unsere Ehe, nimmst mir meinen Mann weg›. Ein Vorsitzender Richter wird den Kinderschänder, der sich vorher niemals etwas hat zuschulden kommen lassen, immer freisprechen (muss es angesichts der Rechtslage sogar); er achtet auf die Stellung dieses ansonsten angesehenen Bürgers oder Arbeiters in der Gesellschaft.
Wir haben es hier aber nicht mit einem ausdrücklichen Willen zu tun, eher mit einer Funktionslogik, warum das System sexuellen Kindesmissbrauch vertuscht und nicht eingreift. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurde physische und emotionale Kindesmisshandlung nicht nur als selbstverständliches Elternrecht, sondern sogar als notwendiges Erziehungsinstrument angesehen. In einer solchen symbolischen Ordnung ist sexueller Kindesmissbrauch einfach kein wichtigtes Thema; gerade auch die Opfer sind nicht wichtig.
Die Ordnung der Kinderschänder
Systemtheoretisch betrachtet, gehören die Opfer, also die sexuell missbrauchten Kinder gar nicht zum System selbst, sondern zur Systemumwelt. Sie werden als eine Art Naturressource betrachtet, die in Fülle vorhanden ist, so dass ein verschwenderischer Umgang keinen Schaden in der Systemreproduktion anrichtet. Oder einfacher ausgedruckt: Wen stört es, wenn ein paar Kinder kaputtgemacht werden? Dafür werden sich ja wohl noch die erforderlichen Heimplätze finden!
Die Ordnung der 30 Millionen gesunden erwachsenen weißen deutschen Männer in den deutschsprachigen Ländern wird auch von den Opfern und Mittäterinnen für legitim gehalten. Nur wenn einer über die Stränge schlägt, das Kind fast umbringt oder sich in der Öffentlichkeit danebenbenimmt, wird eingegriffen (so auch die in Deutschland immer noch gültige Defintion der Kindeswohlgefährdung durch den Bundesgerichtshof 1956). Die Mädchen (oder – seltener – Jungs) geben sich jedoch stets selbst die Schuld am Geschehen, nicht dem Täter; sie haben ‹nicht gehorcht›, den Papa ‹verführt› und bemühen sich, sich fortan besser zu benehmen (was die Aufdeckung weiter erschwert).
So werden sie zugleich für ihr späteres klagloses Funktionieren im System abgerichtet; nur wenn sie diese Auffassungen übernehmen, gehören sie dazu (und das wollen sie). Auch die misshandelten Ehefrauen machen ihrem Mann nicht etwa Vorwürfe, sondern sagen: ‹Ich habe Pech gehabt›, ‹Mein Mann ist ein Schwein, aber das muss eine Frau ertragen, denn es gehört zum weiblichen Schicksal›, ‹Ich hätte eine bessere Wahl treffen sollen›. Der sexuelle Kindesmissbrauch ist also in das Fundament der Gesellschaftsordnung und ihrer Sinnordnung eingelassen.
Kinderschutzkonzepte und Früherkennung sexuellen Kindesmissbrauchs
Wenn der sexuelle Kindesmissbrauch tief in der Gesellschaftsordnugn verankert ist, braucht das Betreuungspersonal mehr Fachkenntnisse. Das Thema muss in den Ausbildungsordnungen verankert werden, nicht nur im Psychologie-Studium, auch sozialen und Lehrberufen, auch medizinischen Hilfsberufen. Gerade die Heilpraktikerin für Psychotherapie und die Kinderkrankenschwester stehen dem Geschehen am nächsten, lernen aber in ihrer Ausbildung nichts darüber.
Gerade unter ihnen sind zudem viele selbst einst Betroffene. Sie wollen gewissermaßen ‹wiedergutmachen›, was sie selbst einst an der Hand ihrer nächsten Angehörigen erlitten haben. Nur ist ihnen das meist nicht bewusst. Indem sie ihr eigenes einstiges Schicksal immer noch vor sicht selbst verschleiern, verschleiert sich auch ihre Wahrnehmung der ihnen heute Anvertrauten. Sie fallen immer wieder in dieselben Verdrängungsmechanismen, die sie in ihrem eigenen Leben seit der Kindheit eingeübt haben.
Allen neuerdings vorgeschriebenen Kinderschutzkonzepten in Wohn-, Lehr- und Gesundheitseinrichtungen zum Trotz wird dem Kinderschutz nicht Nachachtung verschafft, Betreuungspersonal wird nicht regelmäßig oder nicht sinnvoll geschult, der Lernerfolg nicht gemessen. Zudem ist es lernsoziologisch (sogar lernpsychologisch) nicht damit getan, Fachkräfte fortzubilden, wenn sich nicht das Herangehen einer (organischen oder lateralen) Praxisgemeinschaft an eine Aufgabenstellung, gerade eine komplexe Aufgabenstellung ändert. Es geht also nicht um Zusatzqualifikationen Einzelner zu deren beruflichem Fortkommen, sondern um organisationales Lernen einer ganzen Abteilung oder Einrichtung oder eines Trägers oder einer Berufsgruppe in einem Einzugsgebiet.
Wie lässt sich das Wissensniveau der Einrichtung oder des Trägers messbar heben; wie setzt sich dieses Wissen in Eingreifen – also eigenständiges Umformen des sich darbietenden Zerstörungswerks – um? In Wirklichkeit bekämpfen Leitung und Aufsicht lernende Organisationen mit selbstbewussten Mitarbeitern, vermutlich auch Personalvertretungen bzw. Gewerkschaften. Kinderschutzkonzepte werden in den Ministerien, Verbänden und Kirchen bewusst sabotiert – teils aus Ignoranz, teils im Zusammenhang mit der Organisierten Kriminalität.